Ebenbauer

Mitten im Hufeisenbogen

Existenz, Leidenschaft, Lebensinhalt: So würde Martin Vogl, Waldbauer auf dem Einödhof Eben im Lamer Winkel, seine Arbeit im Wald beschreiben. Gemeinsam mit seinem Vater Hans weiß er es zu schätzen, in der Natur zu werkeln und ganz nah dran zu leben.

“Kommt rein, wir haben Zeit.“ Martin Vogl, im Dorf bekannt als Ebenbauer Junior, winkt uns ins Haus. „Lasst die Schuhe ruhig an“, sagt er mit tiefer Stimme. Unsere Winterstiefel, die alles andere sind als sauber. In der warmen Stube begrüßt uns Hans, Ebenbauer Senior, der auf der hellhölzernen Eckbank sitzt und sich am Ofen wärmt. Er faltet die Zeitung zusammen und legt sie neben sich auf die Bank. Auf dem Tisch stehen schon Gläser und Getränke für uns bereit. Das Treffen mit den beiden Waldbauern auf dem Einödhof Eben ist das erste von vielen Gesprächen, bei dem wir sie kennenlernen wollen, die Mitglieder des Holzverbundes, und ihre Philosophie, ihre Art zu leben, was sie gemeinsam haben und worin sie sich unterscheiden. Wir sind ein bisschen nervös.

Erste Frage: Was bedeutet euch der Wald?
„Alles“, sagt Martin. „Lebensinhalt“, sagt Hans. Sie sind sich einig. Der Wald ist alles auf einmal: Hobby, Arbeit, Einkommen, Existenz, Leidenschaft. Martin ist Anfang 30, er sei hineingewachsen, er kenne es nicht anders. Seine beiden Geschwister orientierten sich in andere Richtungen, fanden ihre Begabungen an anderen Stellen: Seine Schwester arbeitet als Lehrerin und sein älterer Bruder ist Bürgermeister von Drachselsried, einer Gemeinde auf der anderen Seite des Rucks, also des Bergrückens, der gemeinsam mit dem Künischen Gebirge ein Hufeisen bildet, in dem sich der Lamer Winkel befindet. Martins Interesse für den Wald kündigte sich schon in frühen Kindestagen an, als er auf seinem eigenen Tretbulldog mit Seilwinde um den Hof pedalte, um erste Erfahrungen zu sammeln. Als Jugendlicher durfte er endlich regelmäßig mit seinem Vater ausrücken, erst handlangern, später selbstständig anpacken. All das Vorwissen, das er bei derArbeit mit seinem Vater sammeln konnte, ergänzte er an der Bayerischen Waldbauernschule in Kelheim, wo er nach der Gesellen- auch noch eine Meisterprüfung ablegte. Die Idealbesetzung als Ebenbauer.

Die Frage, ob er seine Entscheidung für den Wald und damit gegen einen 9-to-5-Job auch manchmal bereue, habe er sich noch nie gestellt. Erstens sei für ihn schon immer selbstverständlich gewesen, schon immer Routine, in den Wald zu gehen. Zweitens mache es ihm einfach Spaß. Wir sind ungläubig. Nicht, weil wir es ihm nicht abnehmen. Ganz im Gegenteil, nicht einmal wenn er es versuchen wollte, könnte Martin schwindeln. So wirkt er jedenfalls. So, als würde er sagen, was er denkt, und meinen, was er sagt. Wir wollen ihn verstehen, wollen verstehen, woher seine Zufriedenheit kommt, ob es nicht Tage gebe, an denen er einfach keinen Bock hätte. Er braucht nicht zu überlegen, schüttelt den Kopf: „Ohne Lust und Freude hast du im Wald keine Chance.“

Der Ebenbauer ist einer der größten Waldbauernhöfe im Lamer Winkel. Das heißt: Die Waldfläche, die Martin und Hans zu bewirtschaften haben, ist außerordentlich groß. Wie groß, sagt man nicht. Das gehe niemanden etwas an, so die gängige Meinung der Waldbauern in der Gegend. Im Sommer reichten selbst sieben Werktage pro Woche nicht aus, um fertig zu werden. Und nicht einmal dann empfänden die beiden ihre Tätigkeit als Last. Stattdessen sei es ein Privileg, sich die Arbeit selbst einzuteilen. Und an Ideen zu tüfteln und einfach auszuprobieren, wie zum Beispiel am selbst gebauten Nasslager. Mit Gartenschläuchen und Sprinkleranlagen bewässern sie Borkenkäferholz, um dem Schädling seine Verbreitung zu erschweren.

Die Dimensionen, in denen die Ebenbauern zu denken und zu planen haben, sind schwer vorstellbar. Nicht nur räumlich, auch zeitlich. Wie alle Waldbauern müssen sie langfristig handeln, sodass in 100 Jahren ein zufriedenstellendes Produkt entstanden sein wird. „Macht das Sinn für die Zukunft?“, lautet die Frage, an der sie sich bei allen waldbaulichen Maßnahmen orientieren. Zukunft, auch ein Punkt auf unserer Themenliste. Wie blickt ihr in die Zukunft?

Der Klimawandel lasse auch hier nicht mehr auf sich warten und mache in Form von Borkenkäferplagen und Waldbränden die Zukunft unsicher. Und trotzdem ist ein tiefes Vertrauen zu spüren. Hans‘ Vertrauen beruhe auf seinen Erfahrungen aus etlichen Jahren in der Forstwirtschaft. Er erinnert sich daran, als er in den 80er Jahren gemeinsam mit anderen Waldbauern an einer Demonstration teilnahm, bei der er auf dem Gelände eines Großsägewerks gegen den Import von Hölzern aus der Tschechoslowakei protestierte, wo doch das Holz vor der Haustür stehe. Das sei auch eine Zeit gewesen, wo niemand wusste, wie es weitergehen solle, weil die Nachfrage nach dem Holz aus dem Lamer Winkel so gering gewesen sei. Auch das haben sie überstanden. Und der Sohn vertraut dem Vater. „Wird schon werd’n.“ Die beiden lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Sind sie naiv? Blenden sie aus, was auf uns und auf die Wälder zukommen wird? Sie haben Vertrauen. Vertrauen in sich selbst und ihre Fähigkeit, damit zurechtzukommen. Und Vertrauen in die Natur, dass sie ihren Weg schon finden werde – wie auch immer der aussehen möge.

Neben Vertrauen, Erfahrung, Anstrengung, Zeit und Lust setzen die beiden auf eine gute Zusammenarbeit, ein Miteinander zwischen Vater und Sohn, einen fließenden Generationenübergang. Die ältere Generation müsse der jüngeren ihren Freiraum lassen und sich nicht zu viel einmischen. „Da wird nicht viel geredet, wenn’s passt“, sagt Hans. „Wenn er nichts sagt, dann wird’s schon passen“, sagt Martin. Deswegen übernimmt Hans mittlerweile nur noch die Aufgaben des Rückewagenfahrers, der Stämme transportiert. Martin darf die Bäume fällen, das heißt auch: Entscheidungen fällen.

Hans ist ein Epochenmensch, er „mag die jungen Leute gern.“ Davon profitierten nicht nur Martin und seine Geschwister, sondern auch ihre Freunde und Bekannte: Zehn Jahre lang fanden im Austragshaus, dem alten leerstehenden Haus nebenan, in dem Hans‘ Eltern gelebt hatten, die im Dorf berühmt berüchtigten EM-Partys statt. Die Kinder hatten die Erlaubnis, das ganze Gebäude in ein einziges Feierareal zu verwandeln, und verfrachteten unzählige Sofas dorthin, montierten eine Poledance-Stange und bauten eine alte Theke ein, die auf dem Schneiderberg, einem anderen Lohberger Einödhof, nicht mehr gebraucht wurde. Nach den Winterpartys konnte es schon mal passieren, dass Vater Hans um vier Uhr morgens den Traktor umlassen musste, um ein Auto aus dem Graben zu ziehen – er helfe ja gern.

Die Ebenbauern haben keine Nachbarn, stattdessen gibt es rundherum viel Wald und Wiesen. Ihr Hof liegt im Zentrum des Hufeisenbogens, vier Kilometer weit entfernt von Sommerau, dem nächsten Ortsteil von Lohberg, und ist damit wie geschaffen für solche Feiern. Gleichzeitig herrscht hier eine Ruhe, die Martins Mutter, Hans‘ Frau Susi zu schätzen weiß. Sie liebe den großen Raum für ihre Pferde und die Zeit allein. Hans genieße das auch. Doch er freue sich umso mehr, wenn Holzhändler kämen und ihm den aktuellen Klatsch aus dem Dorf berichteten. Affären und alles, was man sonst noch wissen sollte. In einer Siedlung zu wohnen, könnten sie sich nicht vorstellen. Da hätten ihre Forstmaschinen, die Pferde, Schafe, Hühner und Hunde gar keinen Platz. Und der Wald wäre viel zu weit weg.