Wozu überhaupt Bäume fällen?
Stoil
Ob beim Straßenbau, beim Abbau nichterneuerbarer Ressourcen oder bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe – ständig greift der Mensch in die Natur ein. Und fügt ihr damit, in den allermeisten Fällen jedenfalls, langfristige Schäden zu. Auch aus dem Ökosystem Wald kann der Mensch seine Finger nicht lassen. Franz Müller, Waldbauer und Bürgermeister von Lohberg, erklärt, wann und warum er es sinnvoll findet, einzelne Bäume zu fällen:
Als Waldbauer ist es meine Aufgabe, mich um den Wald zu kümmern und ihn zu verwalten. Dabei lautet das oberste Gebot: ihn zukunftsfähig zu gestalten, seine Gesundheit, Stabilität und Widerstandskraft zu fördern und dadurch auch wirtschaftlich zu profitieren. Um diesem Gebot zu folgen, muss ich und müssen wir in bestimmten Situationen und an gewissen Stellen einzelne Bäume fällen.
Schließlich ist der Klimawandel mittlerweile auch bei uns im Bayerischen Wald nicht mehr zu übersehen: Die Sommer werden immer länger, heißer und trockener. In diesen Monaten lässt die Wasserversorgung vor allem für die Fichte zu wünschen übrig, weil sie als Flachwurzler nur auf die geringen Wassermengen in den oberen Bodenschichten zugreifen kann.
Dass stresst die Fichten und macht sie anfällig für Krankheiten oder Schädlingsbefall. So hat beispielsweise der Borkenkäfer, insbesondere der auf die Fichte spezialisierte Buchdrucker, leichtes Spiel: Er bohrt sich durch ihre Rinde hindurch, um seine Eier abzulegen, und zerstört ihre Wasser- und Nährstoffleitbahnen. Hinzu kommt, dass sich der Käfer gerade bei Hitze und Trockenheit extrem schnell vermehrt. Dann befällt er nicht nur benachbarte Bäume, sondern fliegt mehrere Kilometer weit und wird zur Plage von ganzen Waldgebieten. Käferbäume müssen wir also so schnell wie möglich fällen, um eine Ausbreitung zu verhindern oder wenigstens einzudämmen.
Käferbäume müssen wir also so schnell wie möglich fällen, um eine Ausbreitung zu verhindern oder wenigstens einzudämmen.
Werden wir witterungsbedingt gerade nicht vom Borkenkäfer getrieben, so haben wir die Zeit, uns um Zukunftsbäume zu kümmern. Sie zeichnen sich durch ihre zukunftsfähige Vitalität aus. Um ihre Licht-, Wasser- und Nährstoffversorgung zu verbessern, fällen wir einzelne Bäume in ihrer Nähe, die sie bedrängen und ihr Wachstum behindern. So geben wir den Zukunftsbäumen die Möglichkeit, zu einem stabilen Baum heranzuwachsen.
Auf die gleiche Weise sorgen wir für den Artenreichtum in den Wäldern. Steht beispielsweise eine gesunde junge Tanne inmitten unzähliger Fichten, so ist es sinnvoll, einzelne Fichten zu fällen und der Tanne etwas nachzuhelfen.
Eine solche Einzelstammlese wirkt sich auf die Verteilung von Licht und Schatten auf dem Waldboden und in höheren Stockwerken aus. Das fördert die Naturverjüngung, also die
natürliche Ansamung von Bäumen durch Samen, die entweder von Bäumen auf den Boden herunterfallen, vom Wind herangeweht oder von Tieren herangetragen werden. So werden die autochthonen Bäume erhalten. Das sind Bäume, die hier heimisch sind und an die Standortbedingungen im Bayerischen Wald und speziell an dieser Stelle, z. B. an einem Hang oder in der Hochlage, angepasst sind und zu einem gesunden, stabilen und widerstandsfähigen Baum heranwachsen.
Auch die Nutzung einzelner Bäume haben wir im Blick. Befindet sich ein Baum hinsichtlich seiner Qualität, seines Alters und seiner Größe gerade in seiner Höchstphase und ist optimal für die Verwertung und Vermarktung geeignet, so möchten wir ihn ernten, bevor er die natürliche Alterungs- und Zerfallsphase erreicht.
Auf die gleiche Weise sorgen wir für den Artenreichtum in den Wäldern. Steht beispielsweise eine gesunde junge Tanne inmitten unzähliger Fichten, so ist es sinnvoll, einzelne Fichten zu fällen und der Tanne etwas nachzuhelfen.
Jedoch sind auch solche natürlich gealterte, abgestorbene und zerfallene Baumteile wichtig für den Wald. Schließlich bieten sie Nährstoffe für die Destruenten, also für Würmer, Pilze und Bakterien, die das Totholz zersetzen und dadurch wiederum dafür sorgen, dass neue Bäume und Pflanzen wachsen. Deshalb lassen wir ausreichend Totholz liegen, das beispielsweise beim Entästen der Stämme anfällt.
Bei allen Fällungen achten wir stets auf das Prinzip der einzelstammweisen Nutzung und verzichten auf unnötige Kahlschläge. Jede einzelne Fällung ist also eine individuelle Entscheidung, über die wir im Vorfeld nachdenken müssen, um sie überhaupt erst zu finden; wir haben ja keine direkten Anweisungen von außen oder oben. Eine solche Entscheidungsfällung ist immer auch, mal mehr, mal weniger, mit Gefühlen verbunden. Schließlich schneiden wir ein Lebewesen um! Mein Vater, seinerzeit auch Waldbauer, setzte Jahre lang alles daran, den Bau einer Forststraße um ein paar
Meter zu verschieben, nur um eine einzige Buche am Leben zu erhalten. Er brachte es einfach nicht übers Herz, diese wunderschöne, vitale Buche zu fällen. Irgendwann musste er trotzdem nachgeben und schnitt den Baum um – aber nicht ohne Bedenken.
Nur so kann eine nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes funktionieren: Wenn wir darüber nachdenken, welche Konsequenzen unser Handeln nach sich zieht, wenn wir uns als Menschen für die Gesundheit des Waldes verantwortlich fühlen und wenn wir mit ihm zusammenarbeiten. Denn: Sehen wir uns selbst als Teil des Waldes, so tun wir uns selbst Gutes, wenn wir dem Wald Gutes tun und so treffen wir für uns selbst gute Entscheidungen, die auch für den Wald gut sind. Denn Entscheidungen fallen doch immer zum Wohl einer gewissen Partei. Als Privatperson fälle ich Entscheidungen zu meinem eigenen Wohl oder dem Wohl meiner Familie und Freunde, als Bürgermeister zum Wohl der Gemeinde und als Waldbauer eben zum Wohl der Natur.